Harald Henn: Widerstände auf der Führungsebene für die radikalen Veränderungen zur Customer Experience sind noch sehr groß! #shiftcx

image-25638

Die Diskussionen und Interviews dieser Woche fokussieren auf der Klärung der strategischen Aspekte auf dem Weg zur "Customer Experience (R)Evolution". Dabei freuen wir uns im Rahmen unserer Interview-Reihe auch über die Antworten von Harald Henn (Marketing Resultant GmbH), Experte, Autor und Herausgeber sowie Berater zum Thema für Callcenter, CRM und Customer Service. Sein Fokus liegt auf der Optimierung von Geschäftsprozessen mit einem systematischen Blick auf Konzepte und Methoden. Dabei empfiehlt er die Anwendung eines "Customer Experience Strategie Canvas", wozu wir ihn auch mit einen Vortrag am 2. Konferenztag zur Shift/CX eingeladen haben. Im Interview haben uns mit ihm über seine Empfehlung für die Gestaltung des Wandels auf dem Weg zur "Customer Experience" Strategie unterhalten.

(1) Hr Henn - Sie werden am 2. Konferenztag der Shift/CX eine Keynote zur CX Strategieplanung halten und dabei auf den von Ihnen entwickelten CX Strategie-Canvas eingehen. Was ist darunter zu verstehen und was können wir erwarten?

Harald Henn: Der Begriff Customer Experience ist vielschichtig und wird in Projekten sehr oft unterschiedlich interpretiert und verstanden. Was häufig fehlt ist ein ganzheitlicher Ansatz und ein übergreifendes Verständnis. Es geht ja nicht um isolierte Konzepte wie z.B. Customer Journey Mapping. Mit dem CX Canvas unterstützen wir Unternehmen genau darin, diesen Blick auf alle Aspekte zu gewinnen und damit eine Strategie umzusetzen, die nicht isoliert einzelne Aspekte optimiert

(2) Das CX Canvas-Modell unterteilt sich ja grob in vier Blöcke - können Sie uns diese kurz erläutern?

Harald Henn: Das Modell unterscheidet zunächst in zwei Blöcke: In das CX Konzept für den Vertrieb und das CX Konzept für den Service. In jedem dieser Blöcke geht es dann um die Kundenwünsche - was will der Kunde über welche Kanäle erreichen und wo liegen die Momente der Wahrheit. Der zweite Teil beschäftigt sich dann mit den Zielen, die das Unternehmen daraus ableitet und der notwendigen Kultur um dies zu erreichen. Danach folgen die Definition der Schlüsselaktivitäten, Touchpoints und Kanäle. Dies alles mündet in ein Customer Service (oder Vertriebs( Modell welches im Idealfall auf die Wertreiber der Loyalität einzahlt, welches sich durch die relevanten Kennziffern wie Kundenzufriedenheit oder Fan-Quote messen lässt.
http://marketing-resultant.de/customer-experience-management/

(3) Vertrieb und Service in einem CX-Ansatz - so soll's sein, aber die Realität in den Unternehmen ist davon noch weit entfernt. Oder?

Harald Henn: Die Realität ist generell noch sehr sehr weit von einem kundenorientierten CX Ansatz entfernt. Das Anwenden von Customer Journey Mapping oder anderen zur Zeit "angesagten" Design Thinking Methoden ist nicht gleichbedeutend mit einem konsequenten Umsetzen. Viele Unternehmen bestehen den Lackmus Test nicht, weil Kultur, Entlohnungs-Syteme einem konsequenten CX Ansatz entgegenstehen und das Management kein "Konsequenz-Management" betreibt

(4) Wie kommen die Unternehmen - und insb. dort die operativen Fachabteilungen - aus dem Dilemma (siehe auch Interview mit Dr. Claudio Felten) raus? Denn letztendlich fordert der Kunde die CX ja ein und die Fachabteilungen sind dann aber gefangen in den beschriebenen Gegebenheiten. Womit lässt sich der Knoten lösen?

Harald Henn: Es gibt mehrere Wege nach CX Rom .-)). Disney, IKEA, ALDI, Apple hatten oder haben sehr starke CEO´s, die die notwendige Einstellung vorleben und sehr konsequent von allen Mitarbeitern einfordern. Vorleben, einfordern und konsequentes Umsetzen bis auf die unterste Hierarchiebene erfordern eine intensive Beschäftigung mit der Kultur des Unternehmens. Dies ist der Schlüssel zum Erfolg. Die mittlere Ebene hat nur einen beschränkten Einfluss auf die konsequente Ausgestaltung des CX Ansatzes. Einzige Ausnahme: Das Unternehmen steht mit dem Rücken zur Wand und muss um seine Existenz kämpfen. Unternehmen denen es relativ gut geht, die keinen existentiellen Leidensdruck verspüren, werden auf der operativen Ebene Verbesserungen erreichen, aber nicht die Spitze in ihrer jeweiligen Branche erreichen. Die impliziten Widerstände auf der mittleren und der oberen Führungsebene gegenüber den oft notwendigen radikalen Veränderungen sind zu groß.
Lernpfad Customer Journey Management

(5) Sicherlich ist es immer leichter, wenn von oben die Direktive für die Veränderung kommt - aber davor muss erst die Überzeugung da sein. Wenn schon nichts direkt bewirken - was sind dann aber evt. Möglichkeiten für die Fachabteilungsverantwortlichen die Überzeugung beim Management für den notwendigen Wandel zu schaffen? Was sind die tragfähigen Argumente und Maßnahmen um die Argumente zu untermauern?

Harald Henn: Die größte Überzeugungskraft haben die Kunden selbst bzw. deren Aussagen, Daten oder Informationen zu Erwartungen, Erlebnissen, Frustrationen auf den Kundenreisen. Insofern sind dann Methoden wie Customer Journey Mapping - wenn man mit echten Kunden die Workshops durchführt - oder auch Customer Journey Analytics scharfe Waffen um intern Überzeugungsarbeit zu leisten. Ein Geschäftsführer oder Vorstand, der einen Tag im Customer Service verbringt, Telefonate mithört und E-Mails liest sieht danach die Welt auch oft mit anderen Augen. Es braucht also keinen Zaubertrank um intern überzeugend für CX zu argumentieren. Kunden zuhören und sich erzählen lassen was so alles nicht funktioniert bewirkt schon sehr viel. Hinabsteigen vom Elfenbeinturm und dort hingehen wo es weh tut, um ein Spruch aus der Fussballerwelt zu bemühen.

(6) Was sind die sinnvollen Messzahlen beim Thema Customer Experience Analytics? Der NPS ist dabei ja auch eher nur der Anfang der Reise.

Harald Henn: NPS ist generell keine wirklich hilfreiche Größe, weil die Treiber der Loyalität, also was zahlt ein aus Kundensicht auf Zufriedenheit und Loyalität, nicht hervorgehen und das Unternehmen somit keine Handlungsfelder für Optimierung hat. Kennziffern leiten sich im Idealfall aus den Treibern für Loyalität ab. Diese müssen aus den Kundenerwartungen durch Befragungen abgeleitet werden. Das können z.B. Einfachheit und Schnelligkeit sein. Alles was ein Unternehmen dann entlang einer Customer Journey optimiert muss auf diese Treiber einzahlen. Neben diesen Kern-KPI´s kann man weitere Hilfs KPI´s genereller Natur ermitteln. Abbruchquoten in Prozessen z.B. die man durch Customer Journey Analytics Systeme ermitteln kann. Wenn man sich jedoch auf die Werttreiber konzentriert kann man als Unternehmen eigentlich keine Fehler mehr machen. Bleiben wir beim Beispiel Einfachheit. Wenn man diese KPI weiter untergliedert dann lassen sich daraus weitere Zielgrößen für Webauftritte, Formulierungen in Briefe, Formulare, Prozesse, etc ableiten. Alle Optimierungen zahlen dann ein auf die Loyalität der Kunden. Insofern wird jedes Unternehmen auch unterschiedliche KPI´s benötigen

(7) Hier schliesst sich dann aber wieder der Kreis - dass die KPIs ein möglichst bereichsübergreifendes und ganzheitliches Bild der Erlebnis-, Zufriedenheits- und Kundenbindungs-Wertetreiber erfassen müssen, was wiederum ein Zusammenarbeiten über die Abteilungsgrenzen hinaus voraussetzt. Ist es Letzteres, womit die Fachabteilungen dann anfangen müssen, um die Veränderungen in Gang zu bringen?

Harald Henn: Ja, absolut. Wenn die Loyalitätstreiber allen bekannt sind, alle Abteilungen gemeinsam auf das Ziel hinarbeiten möglichst viele loyale Kunden zu generieren und die Handlungsfelder dieses Ziele zu erreichen Konsens im Unternehmen finden, erleichtert dies die Zusammenarbeit und wirkt dem abgrenzenden Silodenken entgegen. Dann können auch abteilungsbezogen Optimierungen durchgeführt werden ohne dass das übergeordnete Ziel aus dem Blickwinkel gerät

(8) Mit welchen Themen und Erwartungen kommen Sie zur Shift/CX?

Harald Henn: Ich freue mich auf den Gedankenaustausch, den Dialog mit allen, die sich für CX interessieren. Ich denke, Shift/CX bietet eine tolle Gelegenheit Neues kennenzulernen, eigene Ansätze zu hinterfragen. Customer Experience lebt vom Dialog. Und genau das ist es, was uns alle bereichert und was auf der Shift/CX geboten wird.
Wir danken Harald Henn für die interessanten Antworten.Treffen Sie Harald Henn auf der Shift/CX und diskutieren Sie mit ihm Erfahrungen zur CX-Strategie. Registrieren Sie sich jetzt!