Transformation der Kundenzufriedenheitsforschung – Anforderung an das Kundenzufriedenheitsmanagement der Zukunft

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Dieser Artikel wurde erstmals von Stephan Thun am 12. September 2019 auf www.maritzcx.com/blog veröffentlicht und ist ein Auszug aus dem Buch “Zukunft der Marktforschung” erschienen im Springer Verlag 2019 Kundenzufriedenheit und ihre Messung ist seit Mitte der siebziger Jahre ein fest verankertes Feld der Marktforschung. Ihre Bedeutung ist vor allem deshalb gestiegen, weil es in einem Umfeld verschärften Wettbewerbs mit immer mehr Angeboten und einer zunehmend schwieriger werdenden Marken- und Produktdifferenzierung von wachsender Bedeutung für den wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens ist, Kunden langfristig an das Unternehmen zu binden. Begrifflichkeiten wie Kundenbegeisterung haben sich entwickelt um hervorzuheben, welchen Stellenwert emotionale Komponenten bei der Weiterempfehlungsrate haben. Begeisterte Kunden haben eine deutlich höhere Weiterempfehlungsrate und tragen so direkt zur Neukundengewinnung bei. Kein Wunder also, dass Unternehmensentscheider der Kundenzufriedenheit immer größere Bedeutung zumessen und immer häufiger mittels „Customer Experience“ Programmen den Net Promotor Score (NPS –im Wesentlichen mit Fokus auf die Weiterempfehlung) oder andere Kundenzufriedenheitsindizes regelmäßig messen. Die jährlichen CEO Studien von IBM, Gartner, Forrester und vielen mehr zeigen dies eindrucksvoll. Allen Studienergebnissen ist gemein, dass ca. 90 Prozent der teilnehmenden Unternehmenslenker großer Unternehmen in sämtlichen Studien die Verbesserung der Kundenzufriedenheit als eine der drei wichtigsten Prioritäten zur Umsetzung ihrer Wachstumsstrategien nennen.

Kundenzufriedenheit gestern

In der Vergangenheit basierte das Geschäftsfeld klassischer Kundenzufriedenheitsmessung der Marktforschungsinstitute auf den traditionellen Kompetenzen des Studiendesigns, der Erhebung (Feldarbeit) und der analytischen Kompetenz. Die anonym verarbeiteten Daten wurden verallgemeinernd an die Unternehmenseinheiten weitergegeben, um Prozessverbesserungsmaßahmen auf den verschiedenen Ebenen zu identifizieren, zu priorisieren und anzustoßen. Trends wurden anhand einer Indexveränderung aufgezeigt (CSI – Customer Satisfaction Index). Die Erhebungen fanden in aller Regel Zeitpunkt bezogen statt, wurden aggregiert, nicht individuell ausgewertet, nicht integriert mit anderen Datenquellen, nicht in Echtzeit berichtet und waren immer rückbetrachtend, kaum vorausschauend. Die verschiedenen Unternehmenseinheiten, z.B. Konzern- und Qualitätsmanagement, Operations, Vertrieb, Länderorganisationen, Händler etc. erhielten die Daten auf unterschiedlichen Aggregationslevels zu vereinbarten Berichtsperioden.
Lernpfad Customer Journey Management

Kundenzufriedenheit heute

Fast alle Unternehmen, bei denen Kundenorientierung ein wichtiger Bestandteil der Unternehmensstrategie ist, nutzen heute deutlich mehr Datenquellen und bemühen sich um eine Verknüpfung verschiedener Informationen zu einem besseren Gesamtbild der „Customer Journey“. „Big Data“ ist eher „buzz word“ als systematisch umgesetztes Instrumentarium, dennoch wird versucht, zusätzlichen Informationsgewinn aus der parallelen und (selten) integrierten Nutzung verschiedener Quellen zu ziehen. Die wesentlichen kundenspezifischen Datenquellen sind dabei heute:
  • Ein laufendes Kundenzufriedenheitstracking
  • Social Media Monitoring
  • Transaktions- und Vertriebsdaten
  • Online Communities
  • CRM Datenbanken
  • Mitarbeiterzufriedenheitstracking
Die Erhebungen werden in aller Regel noch immer Zeitpunkt bezogen erhoben, aggregiert und auch individuell ausgewertet, werden parallel betrachtet, aber nicht systematisch integriert mit anderen Datenquellen und werden weitgehend in Echtzeit berichtet – insbesondere dann, wenn neuer Wettbewerb – außerhalb der Marktforschung agierend – ein Kundenzufriedenheitstracking als Marketingmaßnahme inklusive Weiterleitung individueller Kundendaten implementiert hat. Ebenfalls berichten Lösungen im Bereich Social Media Monitoring Daten i.d.R. bereits in Echtzeit, häufig als Mischung aggregierter Daten und individueller Kundenkommentare. Bereits heute hat sich Kundenzufriedenheitsforschung in seiner Entwicklung also von der -forschung zum Kundenzufriedenheitsmanagement (CEM – Customer Experience Management) entwickelt – dort, wo onym ausgewertet und individuell berichtet wird, hat sich Kundenzufriedenheitsforschung zum individuellen Kundenzufriedenheitsmanagement entwickelt (CEM+ – Customer Experience Management plus) und ist keine Disziplin der traditionellen Marktforschungsbranche mehr.

Kundenzufriedenheit morgen

Die natürliche Evolution des beschriebenen Status Quo wird durch drei Bedürfnisse von Unternehmen getrieben:
  • Das wachsende Bedürfnis der Unternehmen, erhobene Daten (weiterhin) individuell nutzen zu können, um kundenspezifische Strategien effektiv umsetzen zu können. Dabei weitet sich die Nutzung der Daten rasant aus: War Kundenzufriedenheitsmessung in seinem Ursprung in der Regel im Kundenservice und Qualitätsmanagement verortet, werden die Daten heute auch im Vertrieb und Marketing und zukünftig auch in Fertigung & Entwicklung, Verwaltung, Operations etc. und damit unternehmensweit genutzt
  • Das Bedürfnis, alle Kunden sowie potenzielle Kunden in ihrem gesamten Lebenszyklus mit all ihren kaufrelevanten Emotionen besser zu verstehen und zu begleiten, um kundenindividuell Informations- und Interventionspunkte initiieren zu können. Dabei sollen ehemalige Kunden gezielt zurückgewonnen und Wettbewerbskunden erobert werden
  • Das Bedürfnis, vorhandene Daten intelligenter zu integrieren und besser zu nutzen: Die Umsetzung von „Big Data“-Strategien. Sämtliche Umfragen von Forbes, Gartner, Forrester usw. belegen, dass Unternehmen heute noch nicht zufrieden sind mit der Integration ihrer Datenquellen und dass sie dies bei wachsender Informationsflut als eine der wichtigsten zu lösenden Herausforderungen sehen, um ihre kundenzentrierten Strategien erfolgreich umsetzen zu können und profitables Wachstum zu sichern. Wie in kaum einem anderen Markt wird daher derzeit investiert, um intelligente Technologie für automatisierte Lösungen zu entwickeln. Während die Marktforschungsbranche hier ebenfalls stark investiert und aufgrund der analytischen Fähigkeiten einen wichtigen Beitrag liefern kann, erscheinen die Investitionen klein im Vergleich zu denen der Technologie- und Beratungsbranchen, die vielfach mit Venture Capital Lösungen anbieten und laufend verbessern
Den o.g. wesentlichen kundenspezifischen Datenquellen kommen dann folgende Rollen zu:
  • Laufendes Kundenzufriedenheitstracking: Kundeneinstellungen und -bedürfnisse entlang des Lebenszyklus erheben und verstehen, die Treiber und Gründe hinter Transaktionen verstehen, emotionale Einstellungen und Verbindungen offenlegen, Prozesse verbessern, individuelle Probleme zeitnah beseitigen und Kundenbegeisterung für Reputationsmanagement und effektive SEO zu nutzen
  • Social Media Monitoring: Erhebung aufkommender Trends und Stimmungen, zusätzliche Erkenntnisse über Einstellungen und Emotionen gewinnen, Verhaltenszusammenhänge verstehen, individuell steuern
  • Transaktions- und Vertriebsdaten: Ökonomische und sonstige finanzbezogene Daten zum besseren Verständnis der Auswirkung aller kundenspezifischen Aktivitäten und Ableitung eines ROCXI
  • Online Communities: Gemeinsame Weiterentwicklung von Zukunftskonzepten mit den Kunden (Produkte, Service)
  • CRM Datenbanken: Analyse und Steuerung des Kundenverhaltens, Interaktion und Intervention inklusive Zielgruppen-, Dialog- und Direktmarketing
  • Mitarbeiterzufriedenheitstracking: Mitarbeiterzufriedenheit und –engagement verstehen, Wechselwirkung zwischen Kundenzufriedenheit- und Mitarbeiterzufriedenheit aufdecken, Wissenslücken schließen, Kundenzentrierung als Unternehmenskultur stärken
Es ist deutlich: Die dargestellten Trends und Implikationen haben einen fundamentalen Einfluss auf die Kundenzufriedenheitsforschung als Disziplin der Marktforschung: Auch wenn im Kern der Dienstleistung weiterhin die Messung wesentlicher Bestandteil ist und so nach wie vor marktforscherische Kompetenzen z.B. bei der Fragebogengestaltung, der Erhebung und der Analytik gefragt sind, ist der Trend „weg von der klassischen Marktforschungslösung“ (CSI) nicht mehr umkehrbar. Kundenzufriedenheitslösungen stellen in der Zukunft weitgehend Maßnahmen außerhalb der Marktforschungsgrenze dar. Was vorher eine Kerndisziplin der Marktforschung war wird zur Randdisziplin und Ergänzungsleistung. Marketingdienstleister und reine Softwareunternehmen übernehmen und automatisieren den Kern des Kundenzufriedenheitsmanagements der Zukunft, der Marktforschung kommt eine begleitende Spezialistenrolle zu. Kunden haben immer stärker das Bedürfnis, dass ihr Feedback nicht „irgendwo versackt“. Sie wollen individuell und relevant angesprochen werden und für ihren Zeitaufwand belohnt werden. Untermauert wird dies auch dadurch, dass in den Marketingaktivitäten zum Kundenzufriedenheitsmanagement regelmäßig weit über 90 Prozent aller Kunden zustimmen, dass ihre Ergebnisse individuell weitergeleitet werden und ein annähernd identischer Anteil wünscht, bei Problemen direkt kontaktiert zu werden – eben in Erwartung eines individuellen Nutzens. Dialog statt einseitiger Befragung trifft offensichtlich den Nerv der Kunden. In der Konsequenz bedeutet das die kurzfristige Verschmelzung von Kundenzufriedenheitsforschung und Kundenzufriedenheitsmanagement und mittelfristig ein komplettes Verschmelzen der Grenzen zwischen Kundenzufriedenheitsmanagement und Zielgruppenmarketing mit dem Fokus auf Kundenwertsteigerung mittels individuellem Handeln auf Basis von Datenintegration und -prognosen. Marktforschungsunternehmen, die heute noch auf Kundenzufriedenheitsforschung spezialisiert sind, müssen sich grundlegenden strategischen Fragen stellen, um für die Zukunft gewappnet zu sein und ihre Kompetenzen gewinnbringend in ein Zukunftsmodell zu überführen.