Web und Mobile Experience: Wo stehen die Unternehmen?

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<figure>http://espresso-digital.de/wp-content/uploads/Multi_Channel_Tag_Cloud_Daniel_Iversen.jpg Multi Channel Tag Cloud (Daniel Iversen, CC-BY-2.0)</figure> Dies ist der dritte Teil des Zwischenfazits unserer Interviewreihe "Fünf Fragen & Fünf Antworten zur Web & Mobile Experience", die am 25. November startete. In elf Interviews haben Experten aus verschiedenen Unternehmen ihre Sichtweisen zu den Themen wie Customer Experience, Strategie und dem Digital Customer beigetragen. Im ersten Teil ging es um die Frage, warum die Customer Experience im Digitalen so wichtig ist. Der zweite Teil beschäftigte sich mit der guten Experience Strategie für den Digital Customer. Im folgenden geht es um die den beiden Themen "Wo stehen die Unternehmen bei dem Thema? Was machen sie gut oder wo müssen sie nachlegen?" und "Womit sollten die Projektüberlegungen bei diesem Thema anfangen?" Dazu gibt es neben einer kurzen zusammenfassenden Aussage ausgewählte und pointierte Ansichten unserer Experten zu einigen Aspekten.

Wo stehen die Unternehmen bei dem Thema?

Viele Unternehmen haben die Bedeutung von Customer Experience und Kundenzentrierung erkannt, aber sie belassen Verantwortung und Aktivitäten noch in unterschiedlichen Abteilungen. Noch richten Unternehmen ihren Blick zu sehr auf sich oder sie haben noch ein "Werbe-Denken" anstelle dass sie auf den Kunden und seine Bedürfnisse schauen. Es braucht eine umfassende Analyse und gut geplanten Content. Das erfordert ein kontinuierliches Engagement und den ganzheitlichen Blick. Zu oft wird noch kurzfristig agiert, schnell im Operativen losgeschlagen oder auf einzelne Aspekte wie Responsive Design konzentriert - auch oder gerade weil der Mobile-Bereich immer noch vernachlässigt wird. Thomas Kaspar bringt bei der strategischen Betrachtung den Begriff der Silos ins Spiel (Thomas Kaspar / Ray Sono: Das Denken in Nutzerverhalten gibt Aufschluss über den richtigen Marketing-Mix):
Nahezu alle großen Kunden haben den Wert der Kundenzentrierung erkannt. Ich kenne kein DAX-Unternehmen mehr, das sich nicht damit beschäftigt. Dabei ist allerdings die Customer Experience (CX) nicht bei allen abgeglichen. Das Produktmanagment ist oft weit vorn, aber in einem Silo. Kommunikation, Vertrieb und Marketing sind oft nicht abgeglichen, von Digital vs. Offline ganz zu schweigen. Unstreitig ist aber, dass das eines der ganz großen Themen ist, das längst die Unterstützung des Top-Managements hat.
Yves Bollinger sieht es ähnlich. Für ihn liegt die Ursache ebenfalls in der Streuung in Einzeldisziplinen (Yves Bollinger zu Customer Experience: Die meisten Menschen sind Kanal-Agnostiker):
Customer Experience ist eine Meta-Disziplin. Als solche ist sie aber in den wenigsten Unternehmen wirklich etabliert. Viele Unternehmen sind in Einzeldisziplinen schon sehr weit, haben bspw. ein hoch entwickeltes eCRM. Kunden aber über alle Touchpoints hinweg sinnvoll zu begleiten und damit wiederum für die oben erwähnte Relevanz zu sorgen, gelingt den wenigsten.
Ebenfalls in der unzureichenden übergreifenden Betrachtung meint Matthias Müller-Prove eine Ursache zu erkennen (Matthias Müller-Prove: Customer Experience ist keine Werbung):
Customer Experience ist Teil der gesamten User Experience des Kunden, der den Fokus auf die Phase der Kaufanbahnung legt. Die Aspekte von Aufmerksamkeit – Interesse – Information – Aktion können und sollten mit den selben Methoden gestaltet werden, wie das Produkt oder der Service selbst. Ich glaube, dass es für Unternehmen schwierig ist ein einheitliches Bild zu entwerfen, weil mehrere interne Abteilungen und auch externe Agenturen an dem Markenbild mitwirken. Die Definition des Brand, des Markenkerns, sollte allen Mitwirkenden klar sein.
Für eine perfekte Customer Experience heißt es dann, auch Informationen über den Kunden zu sammeln und umfangreich zu analysen (Simon Loebel: “Digital Customer” nicht mehr nur Teil einer Zielgruppe):
Nur so kann das Unternehmen seinen Kunden erkennen und besser verstehen. Dazu ist auch – im weitesten Sinne – hochwertiger Content von hoher Relevanz. Unternehmen müssen der eigenen Zielgruppe auf ihre individuellen Bedürfnisse zugeschnittene, relevante Inhalte zur Verfügung stellen.
Susanne Böck bringt die Eigenzentrierung von Unternehmen ins Spiel, was sie an der Ausrichtung an Interessenten und Kunden hindert (Susanne Böck: „Den“ digital Customer gibt es nicht):
Viele Unternehmen gehen hier noch zu sehr eigenzentriert vor und haben nicht konsequent die Anforderungen von Interessenten und Kunden im Blick.[...]  Und dies vor allem über alle Kanäle – ob nun offline oder digital, ob nun über die Webseite oder eine App – hinweg.
Wo sich dann der Kreis wieder schließt, denn es braucht eine übergreifende Strategie, um kontinuierlich am Kunden zu bleiben und keine isolierten Maßnahmen durchzuziehen (Björn Schotte: Keine langwierige Konzeptarbeit mit fancy UX Guidelines)::
Zudem sollten Unternehmen in eine Strategie investieren, um Funktionen kontinuierlich live stellen zu können. Vorbei sind die “Relaunches”, “Rebrushs”, die meist katastrophalem Projektmanagement unterliegen.
Auch Andreas Selter sieht eine fehlende Kundensicht und zieht eine Parallele zum Thema Usability (Andreas Selter: Customer Experience existenzentscheidend für die Anbieter)::
Es ist ein wenig ähnlich wie beim Thema Usability vor 15 Jahren oder User Experience vor 10 Jahren. Fast jeder hat dann doch schon einmal davon gehört und hält es generell für wichtig. Diese Themen aber ernsthaft anzugehen und vor allem konsequent durchzuhalten, dazu fehlte dann lange noch die echte Überzeugung. Ganz entscheidend ist aber, dass die Unternehmen mehr denn je von ihren Kunden her denken.
Oliver Schmitt greift die beiden Themen "Content-Strategie" und "Responsive Design" auf (Oliver Schmitt: Größte Herausforderung bei Digital Customer ist „Relevanz“):
Dass die Entwicklung von Webangeboten aus dem Sichtwinkel der User viele Vorteile mit sich bringt, haben inzwischen zahlreiche Unternehmen erkannt. Dennoch besteht zumeist noch Nachholbedarf bei den Themen „Content-Strategie“ und „Responsive Webdesign“ (Mobiloptimierung).
Auch wenn es gerade im Mobil-Bereich bei vielen noch krankt, so geht es Tim Rademacher um eine übergreifende Experience und Convenience (Tim Rademacher: Reale und digitale Kundenerlebnisse synchronisieren):
Sie müssen die Brücke zwischen real, PC und mobil schlagen. Viele sind im Web sehr gut, der mobile Bereich krankt oft noch. Oft ist auch der Dialog bei KMUs mit den Kunden verbesserungswürdig. Er darf nicht nur auf Facebook, sondern muss auch auf der Webpräsenz stattfinden. „Customer Convenience“ laute hier das digitale und mobile Zauberwort.
Thorsten Wilhelm bringt es auf den Punkt mit der Aussage (Thorsten Wilhelm zu Customer Experience: Jede Anwendung muss bedient werden):
 „Einfach nur Responsive Design“ – das reicht heute nicht mehr aus
Torsten Schollmayer sieht in eigenen Ressourcen einen wichtigen Punkt, auf den Unternehmen bei allen Planungen und Aktivitäten achten sollten (Torsten Schollmayer über Customer Experience: Alles ist nur einen Klick entfernt):
Das Know-How ist noch immer nicht in den Unternehmen selbst verankert, sondern wird an Dienstleister abgegeben, die sich jeweils immer wieder in die jeweiligen Thematiken einarbeiten müssen. Aus meiner Sicht gehört in jedes Unternehmen, das eine digitale Wertschöpfungskette hat, auch eine UX-Organisation, die intern das Thema bearbeitet und strategisch erstellt.
Insgesamt gibt es vielversprechende Fortschritte. Für den großen Wurf benötigt es in den Unternehmen aber eine ganzheitliche Strategie, ein koordiniertes Vorgehen, eine ständige Analyse, eine weitreichende Content-Planung und vor allem eine umfassende Kundenzentrierung in allen Kanälen.
Lernpfad Customer Journey Management

Womit sollten die Projektüberlegungen bei diesem Thema anfangen?

Ähnlich wie bei der Frage, wo die Unternehmen stehen, kristallisiert sich bei den Experten heraus, dass sich das Wesentliche und damit auch der Anfang um den Kunden drehen sollte. Der Sprachgebrauch ist zwar nicht einheitlich (Kunde/User/Nutzer...), aber der Ausgangspunkt für Projektüberlegungen liegt klar außerhalb des Unternehmens - allerdings ausgerichtet an der Vison und der Strategie des Unternehmens. Dabei sollten die Projekte durchaus klein anfangen beziehungsweise in Phasen vorgehen. Für Simon Loebel beispielsweise formuliert die Kundenzentrierung und die Ausrichtung wie folgt(Simon Loebel: “Digital Customer” nicht mehr nur Teil einer Zielgruppe):
Natürlich beim Kunden und seine Erwartungen an das Erlebnis. Gefolgt vom Wettbewerb und wie sich das Unternehmen bestmöglich differenzieren kann. Außerdem ist die Positionierung der eigenen Marke entscheidend. Die muss in der digitalen, fragmentierten Welt noch smarter sein als je zuvor. Und natürlich sind auch die Business Ziele entscheidend, die mit den digitalen Maßnahmen verfolgt werden und auch entsprechend frühzeitig dokumentiert werden sollten.
Oder, wie es Torsten Schollmayer ausdrückt (Torsten Schollmayer über Customer Experience: Alles ist nur einen Klick entfernt):
Wer ist mein Nutzer, welche Personas (und Situationen) hat er und welche Bedürfnisse kann ich mit meinem Angebot befriedigen.
Susanne Böck wird konkreter und stellt bereits Grundsatzfragen (Susanne Böck: „Den“ digital Customer gibt es nicht):
...wie etwa „welche Rolle spielt das Thema digital in der gesamten Business Strategie?“, „Was sind die Zielgruppen, die angesprochen werden sollen?“, „Was sind die Prioritäten der digitalen Strategie – sollen neue Kunden gewonnen oder bestehende besser an ein Unternehmen gebunden werden?“, „was sind die Erfolgskennzahlen“ und natürlich auch „welches Budget steht zur Verfügung?“. All diese und weitere Fragen gilt es im Detail auszuarbeiten.
Auch Andreas Selter sieht viele Fragen, die gleich zu Beginn geklärt werden müssen (Andreas Selter: Customer Experience existenzentscheidend für die Anbieter):
Ganz klar mit einer echten Idee und Vision und der Ableitung einer mittel- bis langfristigen Strategie. Erst wenn die klar formuliert dasteht, können Experience Prinzipien formuliert werden. Wie soll sie denn aussehen, die Erfahrung und die Erlebnisse, die meine Kunden mit meiner Marke machen? Wie schaffe ich es, dass die unterschiedlichen Berührungspunkte nicht nebeneinander, sondern miteinander funktionieren.
Ausgehend vom Kunden stellt Matthias Müller-Prove ebenfalls zu klärende Fragen (Matthias Müller-Prove: Customer Experience ist keine Werbung):
Zu klären ist: Wer ist mein Kunde? Für welches Problem biete ich eine Lösung an? Wie erreiche ich meine Zielgruppe am besten? Im Fachjargon wäre das der Teil “User Research”, in dem man den Kontext der Anwender und Kunden versteht und sie in Personas und Scenarios dokumentiert.
Um sich über das Vorgehen klar zu werden, hebt Thorsten Wilhelm notwendige User Research hervor (Thorsten Wilhelm zu Customer Experience: Jede Anwendung muss bedient werden):
Besser wird es, wenn die Nutzer analysiert, hinsichtlich ihren Anforderungen befragt und auf dieser Basis Personas erstellt werden. Hiermit sollte jede Optimierung und Neuentwicklung beginnen. Dann wird es leichter sie zum Erfolg zu führen.
Für den Start empfiehlt Björn Schotte einen Workshop (Björn Schotte: Keine langwierige Konzeptarbeit mit fancy UX Guidelines) mit dem Kunden (vermutlich aus der Sicht einer Agentur für ihren Kunden), in dem auch bereits ein erstes greifbares Produkt herauskommt:
In einem ersten Workshop, der klärt was der Kunde braucht, und nicht was er will. In dem das Business Modell des Kunden auseinander genommen oder weiter entwickelt wird. Herauskristallisieren, welche Funktionen unnötig sind. Und planen, wie das kleinste wertvolle Produkt aussehen könnte, mit dem der Kunde möglichst schnell live geht. Keine langwierige Konzeptarbeit mit fancy UX Guidelines. Die wird parallel schon während der Entwicklung iterativ weiterentwickelt. Alle beteiligten Disziplinen müssen agil werden.
Oliver Schmitt weist darauf hin, dass die Technik hintenan stehen sollte (Oliver Schmitt: Größte Herausforderung bei Digital Customer ist „Relevanz“):
Die Reihenfolge muss ganz klar sein: 1. User. 2. Content. 3. Technik. Bei vielen Unternehmen lag der Fokus leider zuletzt immer bei der Technik. Gerade diese Unternehmen sollten die eigenen Inhalte aus der Perspektive der User kritisch hinterfragen.
Ein interdisziplinäres Team hält Yves Bollinger für wichtig damit die "Gaps" zwischen verschiedenen bereichen überbrückt werden (Yves Bollinger zu Customer Experience: Die meisten Menschen sind Kanal-Agnostiker):
In allen Unternehmen gibt es Mitarbeiter, die für dieses Thema brennen. Oft scheitert deren Engagement aber an der ersten Hürde – den klassischen Gaps zwischen Marketing vs. Vertrieb, on- vs. offline Organisation etc. Diese Sollbruchstellen zu vermeiden, hilft ein interdisziplinäres Team, das den Prozess von Anfang an gemeinsam geht.
Die richtigen Mitarbeiter im richtigen Team sind ebenfalls für Thomas Kaspar ein Kernpunkt (Thomas Kaspar / Ray Sono: Das Denken in Nutzerverhalten gibt Aufschluss über den richtigen Marketing-Mix):
Erste Phase ist ein gekapseltes Projekt mit einem Team. Dann kommt ein übergreifendes Projekt, das vom Management unterstützt wird, um divergierende Ziele und Budgets abzugleichen. In der nächsten Phase kommt oft eine übergreifende CX-Einheit, die sich federführende um das Thema kümmert. [...] Der letzte Schritt wäre dann, dass man nur noch Mitarbeiter einstellt, die dem neuen Bild entsprechen.
Aus der Umsetzungssicht legt Tim Rademacher Wert auf eine kanalübergreifende Sicht (Tim Rademacher: Reale und digitale Kundenerlebnisse synchronisieren):
Am Anfang sollte der Kopf für alle Kanäle wie Web, App und Mobile gleichermaßen offen sein. Es muss eine richtige Übergabe zwischen den Kanälen stattfinden, auch zwischen online und offline. Das Tracking und die Auswertungsstrategie – Stichworte Big Data oder CRM – muss von vornherein mitgedacht werden.
Insgesamt geht es darum, basierend auf der eigenen Vision und Strategie die Sicht des Kunden unabhängig von der eigenen internen Organisation in den Mittelpunkt zu stellen. Das ist ein wenn nicht das wesentliche Thema, womit Projektüberlegungen beginnen sollten.