Thorsten Wilhelm: Shopping Convenience (Bequemlichkeit) gewinnt als Customer Experience weiter an Bedeutung

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Nach einer kurzen dem Neujahrstrubel verschuldeten Pause geht es hier nun mit dem nächsten Interview im Zuge der Shift/CX Interviewreihe weiter - unser heutiges Gegenüber: Thorsten Wilhelm. Er ist Gründer & Geschäftsführender Gesellschafter der eresult GmbH sowie UX Botschafter, der gern Wissen teilt und weitergibt (www.nutzerbrille.de). Im Berufsverband der German Usability & UX Professionals fördert er den Nachwuchs und wahrt die hohe Qualität der Arbeit der UX Professionals in Deutschland. Im Interview erzählt er, wie entscheidend eine positive Shopping Convenience innerhalb sämtlicher Prozessschritte ist, warum neben Kunden vor allem auch auf die Mitarbeiter Experience wert gelegt werden sollte und welchen Stellenwert Customer Experience in der Gesamtstrategie eines Unternehmens einnehmen wird.

http://experience-marketing-blog.de/files/2018/01/Thorsten-Wilhelm-Shopping-Convenience-Bequemlichkeit-Customer-Experience-Digitaler-Wandel-ShiftCX-Kongress-Media-Event-Marketing-Foto.jpg1. Welches Trendthema bestimmt die Diskussion rund um die „Digital Customer Experience“ in 2018 – und warum?

2018 wird das Thema Convenience weiter an Bedeutung gewinnen. „Bequemlichkeit (Convenience) ist User / Customer Experience in Vollkommenheit". Gerade Shop-Betreiber sind (heraus-)gefordert, den gesamten Einkaufsprozess für den Kunden so einfach und annehmlich wie möglich zu gestalten. Immer mehr Kunden erwarten und brauchen das (Senioren, Familien, DINKS). Zeit und Energie sinnvoll einzusetzen, das ist für viele Menschen heute und ganz sicher auch noch in der Zukunft sehr erstrebenswert. Und das sowohl im Privat- als auch im Berufsleben. Eine Vereinfachung beim Kauf von Verbrauchs- und Gebrauchsgütern im B2B Handel bietet Kostenvorteile durch eingesparte Arbeitszeit in Einkaufsprozessen und Einkaufsabteilungen. Auch B2B Händler werden daher die Notwendigkeit einer hohen Shopping Convenience erkennen und umsetzen (müssen). Amazon hat schon sehr früh auf eine hohe Shopping Convenience gesetzt. Dort erkannte man, dass die Kernleistungen eines Händlers, wie Preisgestaltung, Produktauswahl, Sortimentszusammenstellung und Transport, immer mehr zu Hygienefaktoren werden. Wirklich „punkten“ lässt sich bei vielen, besonders attraktiven Kundengruppen mit dem Faktor Bequemlichkeit. Ein-Klick Bestellung, Dash Button, Prime und Amazon Echo sind einige, durchaus aber herausragende Resultate eines stetigen Strebens nach einer hohen Shopping-Convenience.

2. Was sind die großen Herausforderungen hinter diesem Thema?

Die Herausforderungen sind vielfältig, da Bequemlichkeit beim Online-Kauf viele Facetten hat. Ich sehe mindestens fünf zentrale „Baustellen“ an denen gleichzeitig gearbeitet werden muss:
  • Access Convenience - Ein Shop muss bei der Suche nach Produkten gut auffindbar sein.
  • Search Convenience - Das Sortiment muss einfach zu erkunden sein (und sollte breit und tief sein).
  • Evaluation Convenience - Die Auswahl geeigneter Artikel muss schnell und zuverlässig erfolgen können.
  • Transaction Convenience - Die gefundenen Artikel müssen einfach bestellbar sein.
  • Possession/Post Possession Convenience - Der Erhalt (und die Rückgabe) gekaufter Produkte muss unkompliziert sein.
Um diese 5 Dimensionen der Shopping Convenience erfolgreich umzusetzen, muss jeder im Unternehmen zum Wohle der Kunden und Nutzer handeln. Das geht nur wenn ein positives Kundenerlebnis zum Kern der Unternehmensstrategie gemacht wird. Nutzer und Kunden müssen im Mittelpunkt stehen und einbezogen werden, wenn es darum geht am Shop, im Online-Marketing und Fulfillment Verbesserungen und Weiterentwicklungen zu erreichen.
Lernpfad Customer Journey Management

3. Wo stehen die Unternehmen bei dem Thema „Digital Customer Experience“? Was machen sie gut und wo müssen sie nachlegen?

Es wird bereits sehr viel getan und gut gemacht. Abteilungen die den Nutzer im Blick haben werden aufgebaut, die Kommunikation zwischen Entwicklern, Designern, Einkäufern und Produktmanagern wird verbessert und Wissen rund um eine optimale „Customer Experience“ wird aufgebaut. Die Prinzipien der „User Experience“ und die Prozesse & Methoden eines User Centered Designs (Anforderung erkennen, beschreiben, Prototyen gestalten, iterativ testen) werden ebenfalls in immer mehr Unternehmen angewandt. Und das sowohl bezogen auf die Kunden als auch die Mitarbeiter/-innen. Auch sie gilt es in den Mittelpunkt zu stellen. Denn Wertschöpfung entsteht durch Wertschätzung – gegenüber Kunden aber eben auch Mitarbeitern (Stichwort: Employee Experience Design). Die Unternehmen sind daher auch 2018 auf- und gefordert, noch mehr an ihrer Unternehmenskultur und der Zufriedenheit ihrer Mitarbeiter/-innen zu arbeiten, damit eingeführte Methoden wie agiles Projektmanagement, User Centered Design Prinzipien, neu geschaffene Abteilungen (Inhouse UX Abteilungen) und Berufsfelder ((C)UX Designer) erfolgreich wirken und arbeiten können.

4. Hat die Ausrichtung auf das „digitale Kundenerlebnis“ nach Deiner/Ihrer Meinung bereits einen angemessenen Stellenwert in der Gesamtstrategie zum digitalen Marketing? Und was ist die Begründung hinter Ihrer Antwort?

Der Stellenwert nimmt stetig zu. Innerhalb der Unternehmen ist die Bedeutung eines „digitalen Kundenerlebnisses“ aber noch recht unterschiedlich ausgeprägt. Sicherlich gibt es dabei eine Korrelation mit dem Gründungsjahr des Unternehmens. Erfolgreiche Unternehmen, die in den letzten 15 Jahren entstanden, hatten gar keine andere Chance, als den Nutzer und sein Erlebnis von Anfang an in den Mittelpunkt ihrer Strategie und ihres Handelns zu stellen. Nur mit Hilfe von nützlichen Produkten & Lösungen, die intuitiv nutzerbar und ansprechend gestaltet sind, konnten sie erfolgreich werden. In erfolgreiche Unternehmen, die vor mehr als 20, 25 Jahren gegründet wurden, ist die stetige Verbesserung des „digitalen Kundenerlebnis‘“ in der Strategie nicht zwingend verankert. Ob sich das ändern muss, und wie schnell, das ist abhängig von deren Märkten. Die meisten Unternehmen, ob jung oder alt, werden sich aber mit dem Thema beschäftigen müssen. Der zentrale Grund liegt vor allem darin, dass sich neue Technologien immer schneller etablieren. Der E-Commerce brauchte 15 Jahre um fast jeden zu erreichen. Mobile Shopping verbreitet sich schon sehr viel schneller und es ist zu erwarten, dass Sprachassistenten noch schneller eine breite Masse an Nutzern erreichen werden. 2018 werden wir die ersten Shops, Banking/Brokerage Anwendungen oder Reiseportale erleben, die den Nutzern eine (Teil-)Nutzung über Sprache ermöglichen. Das visuelle Interface wird bestehen bleiben, denn der Endpunkt einer Suche, z.B. Produktdetailseiten lässt sich nun einmal am besten visuell darstellen. Der Weg dahin, dem Zielpunkt der Interaktion, kann jedoch per Sprache viel schneller erreicht werden: „Zeige mir bitte alle T-Shirts der Größe M, in der Farbe Gelb, bis max. 50 EUR und mit einer Lieferbarkeit innerhalb von 3 Tagen.“ Das dauert gesprochen genau 3 Sekunden während es mindestens 30 Sekunden braucht um das per Maus-/ Touchinteraktion „einzustellen“. 2018 werden wir somit die ersten Hybrid-Shops nutzen können, die Sprachsteuerung neben einer klassischen Bedienung auf dem Weg zur Produktdetailseite bieten. Derartige Lösungen für Kunden, die deren Wunsch nach Bequemlichkeit erfüllen (Stichwort: Shopping Convenience), entstehen in Unternehmen nur dann, wenn sie die Erfordernisse von Kunden frühzeitig erkennen und in Lösungen umsetzen. Das gelingt nur dann, wenn die Zielsetzung, „digitale Kundenerlebnisse“ zu schaffen, in der Unternehmensstrategie angemessen verankert ist.

5. Womit sollten die Projektüberlegungen bei diesem Thema anfangen?

Messen und vergleichen sind ein guter Ausgangspunkt. Ich muss erst einmal erkennen, wie die Lage in Sachen „Shopping Convenience“ bei mir selbst ist. Und dazu braucht es ein gutes Messinstrument. Vorhandene Messinstrumente aus der User Experience Forschung sind dabei nicht ausreichend. Sie müssen um die Komponenten „Convenience“ angereichert und weiterentwickelt werden. Mit Hilfe einer Bestandsaufnahme, z.B. über eine Kundenumfrage, und Vergleichsdaten zur Shopping Convenience von Mitbewerbern (z.B. über eine Panelumfrage oder einen remote Nutzertest gewonnen), erkennen Unternehmen wo sie beim Thema Convenience stehen und auf welchen Dimensionen sie Nachholbedarfe haben. Das ist eine hervorragende Grundlage, um Projekte abzuleiten und zu priorisieren. Erkennen ist die Grundlage um das Tor für neue Umsätze und Gewinne aufzustoßen. Das ist heute noch genauso wie vor hunderten von Jahren: Für die Astronomie am wichtigsten war, dass Galilei ein holländisches Fernrohr weiterentwickelte und verbesserte. Damit wurden fantastische astronomische Entdeckungen möglich und Erkenntnisse gewonnen. Shopping Convenience zuverlässig zu messen, das ist heute noch eine Herausforderung, die wir aber 2018 auch ganz sicher bewältigen werden.