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Agentic AI und Automation im CX-Management: Zwischen Effizienzversprechen und neuer Verantwortung

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Wir haben das Thema Agentic AI & Automation inzwischen fest in unsere Redaktionsagenda integriert. Nach den Diskussionen auf der Shift/CX Konferenzwoche ist klar: Es handelt sich nicht nur um ein weiteres Hype-Thema, sondern um eine Entwicklung, die tatsächlich neuen Schwung in die CX-Transformation bringt – und weit darüber hinaus Wirkung entfalten kann.

Gleichzeitig steckt im aktuellen Diskurs noch sehr viel Hype und Wunschdenken. Wir sollten uns daher immer wieder “erden” und hinterfragen, was tatsächlich umsetzbar ist und wo Entwicklungen vielleicht in eine falsche Richtung laufen. Das Wunschdenken rund um Agentensysteme macht ein aktueller Werbeclip von HP sehr schön sichtbar: „Let’s make work work.“ Der Clip zeigt sehr klar, was Nutzerinnen und Nutzer versprochen wird: dass intelligente Technologien den Rücken freimachen, statt zusätzlichen Aufwand zu verursachen.

Auch in den aktuellen Diskussionen rund um Agentic AI finden wir dieses Versprechen immer wieder: Intelligente Agenten sollen Prozesse übernehmen, Entscheidungen vorbereiten, Kundeninteraktionen optimieren – damit wir uns auf das Wesentliche konzentrieren können. Aber wie nah sind wir dieser Vision wirklich? Können wir sie systemisch und strukturell überhaupt erreichen? Und wo müssen wir im Customer Experience Management möglicherweise neu denken?

Agentic AI zwischen Vision und Wirklichkeit

Wie wir auch in unserer Begriffsherleitung beschrieben haben (Shift/CX Blog: Agentic AI und Agentic Automation – Was steckt hinter den neuen Hype-Begriffen?), stellen Agentic AI und Agentic Automation eine neue Entwicklungsstufe der Automatisierung dar. Gemeint sind Systeme, die nicht mehr nur auf Eingaben reagieren, sondern eigenständig Ziele verfolgen, Entscheidungen treffen und komplexe Prozesslogiken steuern sollen.

Doch die Begriffe sind derzeit alles andere als präzise definiert. Vielmehr bündeln sie sehr unterschiedliche Konzepte intelligenter Softwarelösungen, die bislang eher als Vision denn als flächendeckende Realität existieren.

Das Wunschdenken hinter diesen Entwicklungen ist nachvollziehbar: Statt einfacher Prozessautomatisierung wünschen wir uns selbstdenkende digitale Kolleg:innen. Systeme, die nicht nur Aufgaben abarbeiten, sondern verstehen, mitdenken und eigenständig handeln. Dieses Bild schwingt in nahezu allen aktuellen Diskursen rund um Agentic AI mit.

Wer sich jedoch die aktuelle Marktrealität anschaut, erkennt schnell eine differenzierte Perspektive, wie aktuelle Studien und Berichte zeigen:

  • TechSee berichtet, dass bereits 84 % der Unternehmen KI-basierte Konversationssysteme eingeführt haben, und 54 % planen innerhalb der nächsten zwei Jahre den Einsatz vollständig autonomer Agenten (Quelle).
  • CMSWire weist darauf hin, dass 52 % der Verbraucher sich Unterstützung durch KI wünschen, die Aufgaben schneller und effizienter erledigt (Quelle).
  • The Verge wiederum verweist auf Sam Altman, der nüchtern feststellt: Nutzer:innen erwarten einen „superkompetenten Kollegen“, bekommen aber bislang nur Agentensysteme, die eng definierte Aufgaben in stabilen, vorhersagbaren Umgebungen bearbeiten können (Quelle).

Diese Diskrepanz wird auch in der Entwicklung generativer KI deutlich. Wie wir im Rahmen unserer Analyse des aktuellen Dataiku-Reports zusammengefasst haben (Shift/CX Blog: GenAI im Reality-Check – Wichtige Trends und Implikationen aus dem Dataiku-Report), stehen viele technologische, organisatorische und ethische Herausforderungen noch ungelöst im Raum. Von wirklich adaptiv agierenden Agentensystemen sind wir noch ein gutes Stück entfernt.

Deshalb brauchen wir einen kritischen Blick – insbesondere auch, wenn wir die unterschiedlichen Erwartungsdimensionen in Bezug auf die Technologie von Anwendern und Management berücksichtigen:

  • Auf der Anwenderseite dominiert die Hoffnung auf echte Unterstützung. Nutzer:innen wünschen sich Entlastung von repetitiven, frustrierenden Aufgaben und erwarten gleichzeitig eine ko-kreative, intelligente Zusammenarbeit.
  • Auf der Managementseite steht dagegen oft das Effizienzversprechen im Vordergrund. Agentensysteme sollen Prozesse beschleunigen, Kosten senken und Produktivitätsreserven heben.

Beides hat seine Berechtigung. Aber die Wahrheit liegt – wie so oft – in der Mitte: Agentic AI bietet Potenzial für beides, allerdings nur dann, wenn wir sie nicht einseitig instrumentalisieren, sondern die Balance zwischen Entlastung, Wertschöpfung und Ko-Kreation bewusst gestalten.

Wir müssen Agentic AI als eine spannende Entwicklung begreifen, ohne ihr ein Versprechen anzuhängen, das sie heute noch nicht erfüllen kann.

Nur so können wir vermeiden, dass Enttäuschung, Misstrauen oder falsche Priorisierungen die eigentliche Innovationskraft dieser Technologie ausbremsen.

Der Effizienz-Bias und was intelligente Agenten wirklich können

Wer sich die aktuellen Diskussionen und Definitionen rund um Agentic AI anschaut, stößt schnell auf große Erwartungen. Agenten sollen Prozesse effizienter machen, Entscheidungen eigenständig treffen und flexibel auf komplexe Situationen reagieren können. In der Kommunikation, insbesondere gegenüber Management-Entscheidern, wird dieses Bild bewusst verstärkt: Versprochen werden mehr Produktivität, geringere Kosten und eine smarte, sich selbst organisierende Organisation. Kein Wunder, dass laut TechSee bereits 54 % der Unternehmen planen, innerhalb der nächsten zwei Jahre autonome Agenten einzusetzen (Quelle).

Doch genau hier lohnt sich ein kritischer Blick. Denn so beeindruckend diese Vision klingen mag, Agentic AI agiert nicht im luftleeren Raum. Auch modernste KI-Modelle benötigen klare Strukturen, Regeln und Anweisungen, die ihnen vorgeben, wie sie Entscheidungen treffen und welche Handlungsoptionen sie nutzen dürfen. (Siehe hierzu auch nochmals die Keynote von Prof. Dr. Peter Gentsch!) Ohne diese Vorgaben bleiben ihre Entscheidungen erratisch, und die Systeme handeln bestenfalls zufällig richtig, im schlimmsten Fall aber an den eigentlichen Zielen vorbei.

Konkret brauchen intelligente Agentensysteme für autonome Entscheidungen zwei fundamentale Voraussetzungen:

  • Reasoning-Definition:
    Ein Agent kann nur dann sinnvoll handeln, wenn präzise formuliert ist, nach welchen Prinzipien, Zielen und Prioritäten er Entscheidungen treffen soll. Ohne eine strukturierte Entscheidungslogik bleibt sein Handeln beliebig oder sogar gefährlich für konsistente Customer Journeys.
  • Aktionsraum-Definition:
    Ein Agent muss genau wissen, auf welche Handlungsoptionen, Prozesse und Services er zugreifen darf und welche Integrationen bereitstehen. Nur dann kann er Aufgaben nicht nur vorschlagen, sondern tatsächlich eigenständig ausführen.

Was daraus folgt, ist offensichtlich: Jede sinnvolle Implementierung von Agentic AI erfordert ein durchdachtes technologisches und organisatorisches Enablement. Unternehmen müssen definieren, was Agenten erreichen sollen, welche Ressourcen sie nutzen dürfen und welche Leitplanken ihr Handeln steuern. Ohne diese Grundlagen bleibt das große Versprechen autonomer Agenten unerfüllt.

Hinzu kommt: Viele der aktuellen Ansätze sind bewusst als Low-Code- oder No-Code-Lösungen angelegt, um es Fachabteilungen und End-Prozessanwendern zu ermöglichen, Entscheidungslogiken und Prozessregeln selbst zu gestalten. Auch das klingt attraktiv, bringt aber neue Anforderungen mit sich. Denn sobald die Verantwortung für die Steuerung von Agenten in die Fachbereiche verlagert wird, braucht es ein gezieltes Enablement – nicht nur technischer Natur, sondern auch methodisch und in Bezug auf Governance und Compliance. Wer Prozesse definiert, beeinflusst unmittelbar die Qualität der späteren Kundenerlebnisse. Diese Verantwortung muss verstanden und professionell unterstützt werden.

Gerade im Bereich des Customer Experience Management wird diese kritische Betrachtung doppelt relevant. CX-Management bedeutet nicht nur, Prozesse effizient zu gestalten, sondern vor allem, Erlebnisse zu schaffen, Erwartungen zu erfüllen und emotionale Bindungen aufzubauen. Prozesse sind im CX nie Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck einer besseren, individuelleren Interaktion. Wenn wir Agentic AI im CX-Management nur als Effizienzmaschine denken, laufen wir Gefahr, genau diesen Kern aus dem Blick zu verlieren. Ein korrekt ausgeführter Prozess allein ist noch lange kein gutes Kundenerlebnis.

Deshalb sollte jede Einführung von Agententechnologie im CX immer an einer zentralen Frage ausgerichtet sein:

Wie trägt der Einsatz der Systeme dazu bei, Erlebnisse individueller, relevanter und menschlicher zu machen – und nicht nur schneller?

Nur wenn uns diese Balance gelingt, wird Agentic AI tatsächlich ein Hebel zur Weiterentwicklung von Customer Experience – und nicht bloß eine weitere Stufe der Prozessautomatisierung.

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CX-Enablement: Neue Aufgaben, neue Rollen, neue Verantwortung

Wenn wir akzeptieren, dass Agentic AI nicht einfach "intelligent handelt", sondern einen klaren Rahmen für Entscheidungen und Handlungen braucht, dann wird schnell deutlich: Auch das CX-Management muss sich auf neue Aufgaben und Verantwortlichkeiten einstellen.

Agentensysteme entfalten ihr Potenzial nicht automatisch. Es liegt in der Hand der Unternehmen – und insbesondere der CX-Verantwortlichen – dafür zu sorgen, dass diese Systeme sinnvoll gestaltet, gesteuert und kontinuierlich weiterentwickelt werden.
Damit verändert sich auch das Anforderungsprofil für alle, die Customer Journeys gestalten und operativ betreuen.

Aus meiner Sicht lassen sich die neuen Aufgabenfelder, die sich daraus ergeben, in drei zentrale Bereiche gliedern:

  • Architektur von Entscheidungs- und Handlungssystemen:
    CX-Teams müssen künftig stärker daran mitwirken, die Entscheidungslogiken und Handlungsoptionen der Agentensysteme zu gestalten. Es geht darum, Ziele, Regeln und Abläufe so zu definieren, dass sie nicht nur effizient sind, sondern auch die Experience-Qualität sichern. Ohne klare Mitgestaltung entsteht das Risiko, dass Agenten zwar Prozesse optimieren, aber Kundenerlebnisse verschlechtern.
  • Orchestrierung und Governance von Agentenprozessen:
    Die Steuerung intelligenter Systeme erfordert eine neue Governance-Perspektive im CX-Management. Prozesse müssen nicht nur definiert, sondern auch überwacht, angepasst und auf ihre Wirkung hin evaluiert werden. Agentensysteme brauchen Rahmenbedingungen, in denen sie sicher und zielgerichtet arbeiten können – und diese Rahmenbedingungen müssen aktiv gestaltet und kontinuierlich gepflegt werden.
  • Enablement von Fachbereichen und Prozessanwendern:
    Wenn Entscheidungslogiken und Prozesse zunehmend in die Hände der Fachbereiche wandern – Stichwort Low-Code/No-Code – dann muss das CX-Management auch Enablementstrukturen aufbauen. Fachverantwortliche müssen befähigt werden, im Sinne der Customer Experience zu denken, wenn sie Agenten konfigurieren oder Prozesse gestalten. Ohne ein gezieltes Befähigungsprogramm besteht die Gefahr, dass kurzfristige Effizienzziele die langfristige Experience-Qualität verdrängen.

Diese drei Aufgabenbereiche markieren aus meiner Sicht den Rahmen, innerhalb dessen sich das CX-Management in den kommenden Jahren neu positionieren muss.

Agentic AI verlangt nicht nur neue Technologien – sie verlangt ein neues Denken im Customer Experience Management.

Nur wenn wir diese neue Verantwortung ernst nehmen, kann Agentic AI tatsächlich zum Hebel für bessere Erlebnisse werden – und nicht bloß für schnellere Prozesse.

Fazit: Agentic AI – viel Potenzial, viele offene Fragen

Agentic AI eröffnet neue Möglichkeiten, Customer Experience Management intelligenter und flexibler zu gestalten. Doch die Technologie entfaltet ihr Potenzial nicht von allein. Ohne klare Entscheidungslogiken, definierte Handlungsräume und ein gezieltes Enablement laufen wir Gefahr, Effizienzgewinne auf Kosten der Erlebnisqualität zu realisieren. CX-Management muss daher Prozesse und Erlebnisse gemeinsam denken und Agentensysteme aktiv steuern, anstatt sich von ihnen treiben zu lassen.

Viele Fragen bleiben offen:

  • Wie operationalisieren wir Reasoning-Definitionen in dynamischen Kundenkontexten?
  • Wie balancieren wir Effizienz und Erlebnis, wenn Agenten Prozesse steuern?
  • Wie befähigen wir Fachbereiche, Experience-relevante Entscheidungen sinnvoll und eigenständig zu gestalten?
  • Wo müssen neue Verantwortlichkeiten entstehen, damit Customer Journeys nachhaltig gestaltet werden?

Dass diese Diskussion uns noch lange begleiten wird, zeigt auch meine Kollegin Susanne Bach in ihrem letzten Beitrag “Agentic AI & Automation – Warum das Thema uns 2025 durchgängig begleiten wird” auf. Das Thema steckt grundsätzlich in allen Veranstaltunge und Diskussion über das gesamte Jahr 2025 drin – mit seinem “Höhepunkt” im Rahmen der neu hinzugenommenden Veranstaltung Shift/CX AI & Agentic Automation FORUM am Jahresende.

Wer tiefer einsteigen möchte, ist herzlich zu unserem kommenden Webinar "Agentic AI & Automation – Neue Aufgaben und Verantwortlichkeiten im CX-Management" mit Wolf Nöding am 13.05 eingeladen. Dort diskutieren wir genau die hier aufgeworfenen Fragen und geben Impulse für eine strategische, zukunftsorientierte Gestaltung.

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