Kris Lohmann: Webdesign-Trends 2015 - die Finger davon lassen?

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Dieser Beitrag wurde im Original im Minds-Blog von Coremedia veröffentlicht. Die Geschichte dieses Artikels begann mit einem Kommentar zu einem Post auf dem “Service Thinking”-Blog von Christian Reichel. Der Kommentar wurde dann zu lang für das Kommentarfeld…  Christian plädiert in seinem interessanten Post mit dem Titel“Gefährlich, gefährlicher, Webdesign-Trends” für einen zurückhaltenden Umgang mit Webdesign-Trends wie Responsive-Design und Material-Design, die in einem t3n-Artikel für 2015 vorhergesagt werden. Natürlich ist ein zurückhaltender Umgang mit Design-Mode und Design-Trends auf jeden Fall auch im Sinne der Benutzbarkeit meistens eine gute Idee.  Allerdings gibt es noch einen wichtigen Aspekt, der insbesondere die  Schnelllebigkeit von Design-Trends betrifft und die damit verbundene Nachhaltigkeit von Webseiten. Es ist natürlich nicht alles, was neu ist, automatisch gut! Aber Dinge können “gut” im Sinne von intuitiv benutzbar werden, wenn sie viel benutzt werden. Und, dafür ist dieser Post ein Plädoyer, die Webdesign-Moden und -Trends sind nicht unabhängig von einem nachhaltigen und gültigen Standard, sondern beeinflussen den aktuellen Standard in hohem Maße. https://coremediaminds.files.wordpress.com/2014/12/trampelpfad_01.jpg

Wie aus Design-Trends Design-Standards werden

Zwar verändern sich die Grundprinzipien menschlicher Wahrnehmung nicht, allerdings entwickeln sich Standardlösungen weiter und werden somit auch von einem größeren Anteil der Zielgruppe verstanden. Als Beispiel dient etwa die Kombination aus Off-Canvas-Navigation und “Hamburger”-Icon als Lösung für eine Navigation. Das Bedienungsmuster wäre noch vor 5 Jahren in – vermutlich – jedem Usability-Test als problematisch identifiziert worden. Viele Benutzer hätten schlicht nicht verstanden, was das Icon bedeutet. Heute ist es zumindest bei regelmäßigen Smartphone-Nutzern kein Problem mehr. Das Bedienungsmuster und das Hamburger-Icon als Symbol sind durch die verbreitete Benutzung konventionalisiert worden. Christian Stetter, emeritierter Professor für Sprach- und Kommunikationswissenschaft an der RWTH Aachen, nennt solche Prozesse, die auch Treiber für die Evolution von Sprachen sind, “Trampelpfad-Prozesse”. Ein schönes Bild, finde ich: Irgendwann läuft jemand eine Abkürzung über eine grüne Wiese und durch die Leute, die hinterher laufen, wird irgendwann ein Pfad daraus, der sich Vorbeilaufenden als Abkürzung anbietet. Das gleiche passiert auch mit den Zeichen- und Konzeptsystemen, die wir für die Interaktion mit technischen Systemen nutzen. https://coremediaminds.files.wordpress.com/2014/12/off-canvas.jpg

Alles hat Vor- und Nachteile

Natürlich gibt es nach wie vor Nachteile gegenüber anderen Navigationsarten. Zum Beispiel ist es für Benutzer aufwändiger zu Bereichen zu navigieren, die nicht direkt auf dem Startbildschirm der App oder der Startseite der Webseite platziert sind. Daher ist die Gefahr sehr groß, dass Benutzer Funktionen übersehen, die vielleicht nützlich währen. Die Funktion ist bei einem großen Display, wenn wie üblich oben platziert, auch schlecht zu erreichen, wenn das Gerät mit einer Hand bedient wird. Solche Nachteile sind in der Tat in der menschlichen Psychologie und Ergonomie begründet und werden sich auch nicht verändern. Den Nachteilen stehen aber auch Vorteile gegenüber, zum Beispiel schlicht mehr Platz für relevante Inhalte auch auf kleinen Bildschirmen. Diese Nachteile gegenüber Vorteilen abzuwägen (zu testen), kann nur nur im Einzelfall und mit Informationen über den Kontext geschehen.
Lernpfad Customer Journey Management

Trends können den Standard verändern

Während sich bestimmte Prinzipien nicht verändern, verändert sich der Anteil von Benutzern in verschiedenen Zielgruppen, die bestimmte Symbole und Bedienungsmuster kennen. Diese Benutzer verstehen diese Muster und Symbole daher direkt und müssen sie nicht erst lernen. Dem liegt das psychologische Prinzip zugrunde, das Daniel Kahnemann frei zitiert “familiarity breeds understanding” nennt. Das Prinzip beschreibt, dass wir als Menschen Dinge besser verstehen und diese sogar mögen, wenn wir ihnen wiederholt ausgesetzt werden. Genutzt wird das Prinzip auch in der Musikindustrie: Die Dauerrotation der neuesten 20 Tophits im Radio sorgt bei den Radiohörern dafür, das diese Hits – im Bevölkerungsdurchschnitt – auch besser gefallen. Während sich also bestimmte Grundprinzipien der menschlichen Wahrnehmung (zum Bespiel Gestaltgesetze oder Kapazität des Kurzzeitgedächtnisses) nicht ändern, gibt es doch eine Rückwirkung des “Stands der Dinge” auf die Bedienbarkeit von Webseiten und Anwendungen, denn die Standardmuster verändern sich mit der Zeit. Und im digitalen Zeitalter verändern sie sich sehr schnell. Das liegt auch daran, dass sich die technischen Möglichkeiten verändern, zum Beispiel sind Animationen, wie etwa in Googles Material-Design verankert, erst mit leistungsfähiger Hardware möglich.

Trends verstehen und deren Beständigkeit abwägen

Da sich das, was als Standard angesehen wird, sehr schnell verändert, sollten sich Designer und Entwickler neue Trends und Moden sehr genau anschauen und diese verstehen. Im Besonderen ist es wichtig, zu analysieren, ob ein Trend vielleicht schon ein neuer Standard geworden ist. Nur das ermöglicht im Kontext eines Projekts Vor- und Nachteile abzuwägen, auch im Hinblick auf die Zukunft zu designen und innovativ zu sein – ohne dabei jedem Trend hinterherzulaufen. Hinweis der Redaktion: Das Thema UX-Trends wird mit einer spannenden Diskussionsrunde am 19.03. im Rahmen der Konferenz der CeBIT Web Experience Arena diskutiert. Seien Sie dabei und registrieren Sie sich jetzt Ihr Ticket!Disclosure: Das Unternehmen Coremedia, bei dem der Autor angestellt ist, ist Partner der Web Experience Arena